Derzeit tagt der Vorstand des Leichtathletik-Weltverbandes (IAAF-Council) in Wien. Ein Zeichen der neuen Bescheidenheit setzt man ja nicht gerade, denn die Weichenstellung für die Leichtathletik-Zukunft wird im feudalen Grand-Hotel getroffen (passend aber im zweiten Untergeschoss), wobei das Floridsdorfer Haus der Begegnung vielleicht angemessener gewesen wäre, wo der Tross der knapp 100 wichtigen Menschen auch Platz gefunden hätte.
Von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird wohl nur die Schluss-Presskonferenz am Freitag um 17:00, wo die IAAF die Entscheidung darüber bekanntgeben wird, ob Russlands Leichtathleten tatsächlich von den Olympischen Spielen in Rio ausgeschlossen werden.
Die Spannung hält sich aber in Grenzen, denn wenn nicht die Nachwirkungen der Getränke beim heutigen Heurigen-Empfang des ÖLV zu irrationalen Entscheidungen morgen führen, ist dieser Ausschluss praktisch fix.
Die WADA hat schon vor ein paar Tagen den Olympia-Bann praktisch vorweggenommen und es käme einer Desavouierung der Welt-Antidoping-Agentur gleich, wenn man sich als Verband gegen die WADA-Meinung stellt.
Tatsächlich darf man sich etwas darüber wundern, dass der in den letzten Jahren wohl korrupteste Verein der Welt (der ehemalige Verbandspräsident Lamine Diack verlangte von Athleten Geld für die Vertuschung von Dopingproben und "packelte" offensichtlich mit den verantwortlichen Russen) über die Korruption eines Landes und seines "Antidoping-Systems" urteilen soll. Das ist ungefähr so, wie wenn beim Jahrestreffen der Camorra darüber diskutiert wird, ob die Eissalons in Palermo ihrer Registrierkassenpflicht nachkommen.
Aber im IAAF-Council hat sich ja einiges geändert. Helmut Digel, wahrscheinlich die einzige moralische Autorität und LA-Experte in Personalunion, musste gehen (er wurde als IAAF-Vizepräsident nicht wiedergewählt), weil er die schmutzigen Spiele nicht mitspielen wollte. An der Spitze steht nun Sebastian Coe, dem jedenfalls ein Vertrauensvorschuss gebührt. Wenn er nicht die Organisation wieder halbwegs auf die richtige Bahn führen kann, wer dann? Viel Zeit hat er nicht mehr.
Man muss klar festhalten: weder IAAF, noch IOC oder WADA haben es geschafft, hinsichtlich Bekämpfung des strukturellen Dopings und der Korruption in der Welt-Leichtathletik etwas auszurichten. Eher macht man sich der Unterlassung, wenn nicht sogar der Beitragstäterschaft schuldig. Dass im letzten Jahr soviel an Aufklärung passiert ist verdanken wir zum Großteil einem engagierten deutschen Journalisten (Hajo Seppelt), der mit bescheidenen Mitteln - gänzlich ohne staatliche oder sportrechtliche Ermittlungsmethoden, praktisch auf eigene Faust und Finanzierung durch einen TV-Sender - hinter die Kulissen geschaut hat und mit Hilfe von Whistleblowern die eigentlich relativ leicht verfügbaren Informationen zusammengetragen hat.
Gedopt wird auf der ganzen Welt, aber mit Hilfe von staatlich strukturierten Systemen und derart weitreichend ist das derzeit nur in Russland der Fall. Deshalb muss - auch zur Abschreckung - Russland von den Olympischen Spielen ausgeschlossen werden. Da es höchst unwahrscheinlich ist, dass ausgerechnet nur in der Leichtathletik mit derartiger Intensität gedopt wird (die Ermittlungen der letzten Wochen und auch im Zusammenhang mit den Olympischen Heim-Winterspielen in Sotschi ergeben ein "stimmiges" Gesamtbild), darf sich der Ausschluss keinesfalls auf die Leichtathletik beschränken.
Bereits im ZIB 24 Interview am 11.11.2015 habe ich auf diesen Umstand hingewiesen, mittlerweile sind fast im Wochentakt neue Ermittlungsergebnisse und Dopingfälle dazu gekommen, die diesen Ausschluss rechtfertigen, wobei auch die Ermittlungen in anderen Ländern weitergehen müssen. Bitte auch meinen früheren Bericht HIER vom März 2016 und HIER vom 12.11.2015 beachten.
Mit dem Ausschluss kann und muss wohl ein Zeichen gesetzt werden, aber daran anknüpfen müssen strukturelle Änderungen in der Dopingbekämpfung, wo vor allem Interessenskonflikte vermieden werden müssen.
Eine gute Darstellung der aktuellen Situation findet sich in der Neuen Zürcher Zeitung und z.B in der Süddeutschen Zeitung.
Klare Worte findet auch Österreichs beste Bahn-Langstreckenläuferin (und bestplatzierte ÖLV-Athletin bei den letzten Großereignissen) Jennifer Wenth im Standard-Interview, die nicht nur auf einen Ausschluss der russischen Leichtathleten von Rio 2016 hofft, sondern auf ein Startverbot aller russischen Sportler, von dem auch Österreich indirekt profitieren könnte.
Etwas skurril mutet der Bericht in der "Kleinen Zeitung" an, wo
ÖLV-Präsident Vallon ziemlich unverhohlen von sich gibt, dass er selbst eigentlich ins IAAF-Council gehört und auch: "unsere klare Haltung gegen Doping bleibt aufrecht!" - Na
dann...
Update 17.6. kurzfristig wurde ich heute zum Live-Interview ins Ö1-Mittagsjournal geladen. Das Interview gibt's ein paar Tage zum Nachhören.
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