Mit dem Dopingproblem haben viele Länder zu kämpfen. Wobei "kämpfen" nicht immer der passende Ausdruck ist. Gedopt wird in vermeintlich hoch entwickelten demokratischen Ländern und auch in totalitären Diktaturen. Prinzipiell ist aber jede Pauschalverdächtigung abzulehnen und letztlich ist es immer die Entscheidung des einzelnen Athleten, ob er mit Doping betrügt oder nicht. Abstruse Fälle, dass jemand versehentlich in die Doping-Spritze rennt oder vom bösen Gegner/Zuschauer heimlich Dopingmittel in die Trinkflasche geschüttet bekommt, gehören eher ins Reich der Phantasie oder zumindest zu den mehr oder weniger kreativen Ausreden.
In der Geschichte des Sports gab es bis jetzt eigentlich nur zwei Fälle, wo man von strukturiertem Staatsdoping sprechen kann, wo also ein nationaler Aktionsplan zum Dopen und Vertuschen
entwickelt wurde:
- in der seinerzeitigen DDR
- im gegenwärtigen Russland
Von Nordkorea wollen wir vielleicht einmal absehen, das ist global betrachtet keine wichtige Sportnation und dort gibt es schlimmere Probleme. China war in den 80er und 90er Jahren knapp dran, aber das Doping beschränkte sich offensichtlich "nur" auf bestimmte Sportschulen und einigermaßen autonom agierende Trainingsgruppen (z.B. die Laufgruppe von Trainer Ma Junren).
In (West-) Deutschland wurde kaum weniger gedopt als im Osten, aber es geschah in einzelnen Gruppen und Verbänden und es gab keinen vergleichbaren "Staatsplan". So könnte man viele weitere Länder aufzählen. Griechenland gehörte um die Olympischen Spiele 2004 herum sicher auch fast dazu, so wie heute die Türkei, Marokko oder Kenia. Kenia hat zwar extrem viele Dopingfälle, aber dort fehlen die Strukturen im Sinne einer staatlichen Dopingorganisation. Doping wird dort eher von (europäischen) Managern mit Hilfe/Duldung des kenianischen LA-Verbandes (der Generalsekretär ist schon gesperrt) in bestimmten Trainingsgruppen betrieben.
Man sollte dabei auch nicht vergessen, dass Österreich immer wieder knapp dran war. Politiker waren immer wieder als Doping-Vertuscher aktiv und der größte Blutdoping-Skandal wurde laut Humanplasma-Geschäftsführer "auf Ersuchen eines österreichischen Regierungsmitgliedes" initiiert.
Russland hat aber sicher eine neue "Qualität" der Dopingstrukturen - im negativen Sinne - geschaffen. Ich habe schon im ZIB 24 Interview ganz zu Beginn des Bekanntwerdens des russischen/IAAF-Dopingskandals darauf hingewiesen, dass es angesichts der Faktenlage sehr unwahrscheinlich sei, dass sich die Machenschaften auf die Leichtathletik beschränken, wobei von Beginn an die Mitwirkung des russischen Sportministers klar schien. Die jüngsten Entwicklungen im russischen Schwimmsport und in anderen Sportarten scheinen das zu belegen.
Der "Meldonium-Skandal" umfasst offensichtlich noch weitere Bereiche, von 1.1.2016 bis heute (25.3.) sind 123 (!) Dopingfälle mit diesem Mittel bekannt geworden.
Was tun?
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Autonomie des Sports bei der Dopingbekämpfung kläglich scheitert. Es bestehen einfach zu viele Interessenskonflikte. Jeder Verband, jeder Sportfunktionär und jedes Land will erfolgreich sein. Wenn man Doping etwas weniger engagiert bekämpft, erhöht das die Erfolgswahrscheinlichkeit der Sportler, auch wenn die Erfolge mit unlauteren Mitteln erzielt werden.
Also müssen hier übergeordnete Instanzen auf der jeweiligen nationalen und internationalen Ebene einspringen. Russland hatte die Chance, von staatlicher Seite her dringende strukturelle und personelle Veränderungen vorzunehmen. Leider wurde diese Chance trotz mehrfacher Aufforderungen der WADA nicht genutzt. Ganz im Gegenteil, wenn nun dopingbelastete Trainer einfach "geheim" an anderen Orten weiter mit Athleten arbeiten und die verantwortlichen Funktionäre nur ihre Rollen tauschen (und mitteilungsbedürftige Mitwisser plötzlich eines unerwarteten Todes sterben ...), dann hat Russland die Chance vertan. Russische Athleten sprechen selbst in Interviews davon, dass "99%" der russischen Spitzensportler gedopt wären und ihnen gar keine andere Wahl bliebe.
Jetzt kann man alle tatsächlich überführten Sportler sperren (die Wahrscheinlichkeit einen (vorsichtigen) Doper zu erwischen, ist mit normalen Nachweismethoden immer noch gering), das würde aber am mafiösen System dahinter nichts ändern und die Hintermänner könnten weitgehend unbehelligt weitermachen.
Wer und wie kann nun entsprechenden Druck ausüben, damit sich etwas gravierend verbessert?
Die Drohung, ein ganzes Land, das stolz auf seine sportlichen Leistungen ist, von Olympischen Spielen als ultimo ratio (!) auszuschließen hat sicherlich mehr Gewicht als der erhobene Zeigefinger und das Sperren von einzelnen Athleten, die als Sündenböcke dienen. Wenn diese Drohung realistisch im Raum steht, dann werden die russischen Sportler, die schon bisher ihre Erfolge ehrlich erzielt haben und auch medial wahrgenommen werden, ihrerseits mächtigen Druck auf ihre Verbände und staatlichen Organisationen ausüben, dass sich endlich etwas ändert. Anders scheint es nicht zu funktionieren.
Deshalb ist die konkrete Androhung eines Ausschlusses von Russland von den Olympischen Spielen 2016 in Rio eine wichtige und eine unvermeidliche Maßnahme, wenn man es mit der Dopingbekämpfung ernst nimmt. Diese Androhung hätte zudem eine generalpräventive Wirkung auch auf andere Länder, die dann realisieren werden, dass kein Land zu groß oder zu mächtig ist, um nicht mit entsprechenden Sanktionen belegt werden zu können.
Der internationale Spitzensport steckt aufgrund des Dopingproblems in einer massiven Krise, er steht praktisch einen Schritt vor dem Abgrund. Sponsoren springen scharenweise ab, das Medien- und
Zuschauerinteresse an Großsportveranstaltungen und auch an Einzelsportlern sinkt. Wenn jetzt nicht endlich konsequent gehandelt wird, wann dann? Der Sport hat es sich verdient!
Deshalb brauchen wir z.B. auch in Österreich - wie es das mittlerweile auch in Deutschland gibt und dort erfolgreich angewendet wird - Doping als Strafrechtstatbestand. Das ermöglicht einerseits wirksame Ermittlungsmethoden (z.B. Hausdurchsuchungen bei Dopern um an Hintermänner/Lieferanten heranzukommen), andererseits sichert es ein faires Verfahren für Sportler, wo Be- und Entlastungszeugen gehört werden können.
Zu Meldonium:
Dieser Wirkstoff ist seit 1.1.2016 verboten, weil sich in den letzten Jahren gezeigt hat, dass viele Sportler (vor allem in Russland) das Medikament Mildronat ohne medizinische Indikation, sondern zur medikamentösen Leistungssteigerung, verwenden, somit Medikamentenmissbrauch betreiben. Entsprechend der WADA-Vorgaben (die von allen Staaten ratifiziert wurden) wurden im Oktober 2015 alle Verbände und registered pool-Athleten (auch Fr. Sharapova) verständigt, dass dieser Wirkstoff ab dem 1.1.2016 verboten sein wird.
Mittlerweile wurden in den letzten 3 Monaten 123 Athleten positiv auf Meldonium getestet. Die Herstellerfirma behauptet nun, dass der enthaltende Wirkstoff bei längerer und hoch dosierter
Einnahme mehrere Monate nachweisbar sein könnte. Das erscheint zwar unwahrscheinlich (allerdings hätte die Herstellerfirma wenig Interesse diesbezüglich die Unwahrheit zu sagen), bedarf
aber weiterer Untersuchungen (Abbaurate). Wenn sich - rein theoretisch - herausstellen sollte, dass das Mittel tatsächlich mehr als drei Monate nachweisbar ist und Athleten glaubhaft machen
können, dass deren letzte Einnahme vor der Verständigung über das kommende Verbot erfolgt war, dann käme wohl auf die WADA ein großes juristisches Problem zu. Es kann deshalb aus derzeitiger
Sicht nicht ausgeschlossen werden, dass all die jüngsten Meldonium-Fälle pardoniert werden und die Sportler mit einer Art Verwarnung davon kommen. Jedenfalls ist schnelles Handeln gefragt, da in
letzter Konsequenz auch Schadenersatz-Forderungen an die WADA in mehr als 100 Fällen eine Lawine ins Rollen bringen könnten, die den Antidoping-Kampf erschüttern würden.