Armin Walter läuft gern, v.a. mit seiner Frau Tamara, die ihren Trainingsplan vom team2012.at bekommt und schon lange einen Marathon schaffen wollte. Armin schreibt im Hauptberuf für eine österreichischen Wochenzeitung und seine journalistischen Fähigkeiten hat er mit seiner läuferischen Leidenschaft perfekt gekoppelt. So entstand dieser Bericht vom New York City Marathon:
"5. November 2017. Es ist so weit!
Darauf haben wir uns ein halbes Jahr vorbereitet. Heute werden wir die Früchte unserer Arbeit ernten. Der Schweiß, der den Boden unserer Trainingsstecken durchtränkt hat, wird nun die Saat aufgehen lassen. Menschenmassen werden uns zujubeln, wenn wir nach etwa 4 Stunden und 40 Minuten leichtfüßig durchs Ziel des größten und legendärsten Marathon der Welt in New York schweben. Das war zumindest der Plan.
Andreas Perer, der mit seinem Reisebüro „Runners Unlimited“ alle großen Laufevents bedient, hat für die etwa 100 Teilnehmer aus Österreich, denen auch wir angehörten, ein tolles fünftägiges Package geschnürt. Hotel am Timesquare, Sightseeing–Tour, morgendliche Läufe zum Zielbereich des Marathons, Bustransfer nach Staten Island, wo der Marathon startet. Und natürlich einen garantierten Startplatz! Wer nämlich glaubt, er kann sich zu diesem Laufereignis so einfach anmelden, muss eine Qualifikationszeit laufen, die sich für einen Hobbyläufer im Leben nicht ausgeht.
Ich hätte bei einem Marathon schon mal eine Zeit von 3:23 laufen müssen, damit ich in NY eine Startnummer bekomme, meine liebe Frau 3:38. Allein wenn ich diese Zeit lese, bekomme ich Kammerflimmern. Also zum Vergessen. Die andere Möglichkeit ist, bei der Lottery teilzunehmen und zu hoffen, dass man als einer der glücklichen gezogen wird. Ist vielleicht für einen Einzelnen ganz interessant, aber wenn man zu zweit antreten will, nicht wirklich praktikabel (Schatz, ich bin dabei und du darfst mich anfeuern). Wer für einen guten Zweck $ 5.000,– (oder mehr) spendet, darf ebenfalls mitmachen. Und dann gibt es fixe Startnummernkontingente für Reiseveranstalter wie Andreas Perer, die aber auch normalerweise schnell ausgebucht sind. Als ich vor einem halben Jahr bei Runners Unlimited angerufen habe, um mich nach zwei freien Plätzen zu erkundigen, hatte ich mir am Telefon eigentlich ein herzhaftes Lachen mit nachfolgendem Schenkelklopfen als Reaktion erwartet. Aber Andy sagte zu meiner Überraschung, dass er unerwartet noch ein Zusatzkontingent bekommen hat und wir uns noch anmelden können. Deshalb hat am vergangenen Sonntag um fünf Uhr in der Früh der Wecker geklingelt.
Als wir in einem der etwa 1.000 Busse (!!) gesessen sind, die die Läufer nach Staten Island zum Start gebracht haben, war der Himmel noch dunkel. Wie mein Gemüt, denn jeder, der mich kennt, weiß, dass ich um diese Uhrzeit eine Herzfrequenz wie ein Blauwal habe. Der Grund, warum ich trotzdem hellwach war, lag weniger an der Aufregung, als an der Location. Der Timesquare ist zu jeder Tageszeit hell erleuchtet. Meine liebe Ehefrau hingegen, die problemlos früh aufstehen kann, nutzte die etwa einstündige Fahrt für einen ausgiebigen Powernap an meiner Schulter.
Da wir wussten, dass von unserer Ankunft bis zum Start gut vier Stunden vergehen würden und es in New York im November nicht viel wärmer ist als bei uns, waren wir wie Polarforscher gekleidet. Mehrere Schichten Kleidung, Haube, Schal, Thermomatten fürs warme Popscherl, während wir im Gras auf unsere Startwelle warten. Deren gab es vier und wir waren in der letzten. Aber um elf war es dann so weit und nachdem eine sicher bekannte Sängerin die Nationalhymne abgesungen hat, machte uns ein Böller darauf aufmerksam, dass wir jetzt ein bisserl laufen sollen.
Zuerst leicht aufwärts über die Verrazano Bridge, die Staten Island mit Brooklyn verbindet und so etwas wie die Praterbrücke ist, nur für Erwachsene. Etwa 30 Meter breit und zwei Kilometer lang läuft man am Anfang mit seinen Mitbewerbern im wahrsten Sinn Schulter an Schulter. Den ersten Kilometer bergan, wodurch uns gleich schön warm wurde und wir uns stückweise von unserem Kälteschutz befreien konnten. Solange, bis meine liebe Frau in voller Pracht in ihrer Designer–Laufkleidung über die Brücke schwebte, was ihr gleich ein Kompliment einbrachte. „Nice outfit!“, lächelte sie ein Läufer an, der nicht ihr Ehemann war. Ich hätte mir zu diesem Zeitpunkt Eifersucht noch emotional leisten können, wollte aber meine Energie aufsparen. Die verbrauchte ich dann etwa bei Kilometer sechs, als die Designer–Laufhose meiner lieben Ehefrau zu rutschen begann und ihre Bemühungen, sie wieder in Position zu rücken, mich lehrte, dass die Frau an meines Seite es nicht mag, wenn der Mann an ihrer Seite lacht.
Kaum waren wir von der Brücke runter in Brooklyn angelangt, ging die Hölle los. Was sich in New York am Streckenrand abspielt, ist für jemanden, der nur den Wien–Marathon kennt und dort bisher nur die kontemplative Stille genießen durfte, die den Läufern, die sich im hinteren Drittel des Feldes abmühen, zuteil wird, zumindest ungewohnt. Den New Yorkern ist es wurscht, ob der erste oder der 40.000ste vorbei kommt. Sie feuern jeden an, kreischen, halten die Hände zum Abklatschen hin, recken Plakate und Transparente in die Höhe. An jeder Ecke spielen Bands. Vor allem für Läufer wie wir, die in der letzten Welle gestartet sind, ist ein Marathon vor allem ein Kampf mit sich selbst – und die Amis scheinen das nicht nur zu wissen, sie honorieren das auch mit ihrer Anteilnahme.
Was auch an uns nicht spurlos vorüber geht und meine liebe Ehefrau und ihr designerloses Anhängsel unterbieten die angepeilten 7 Min/km Sekunde um Sekunde. Ein psychologischer Vorteil, in einer „schwachen“ Welle zu starten ist auch die Tatsache, dass man ständig überholt. Es waren gefühlt tausende, die wir hinter uns ließen. Bis sie lulu musste. Dann steht man in einer Schlange vor einem Dixie–Klo und sieht zu, wie die tausenden wieder an einem vorbei laufen. Und wenn man steht, hat man auch viel Zeit, auf seine Laufuhr zu schauen. 6:52… 6:58… 7:02… 7:08… 7:14… Aber egal, das holen wir mit Unterstützung der Zuschauer wieder auf.
Die wir ab der Hälfte des Rennens auch dringend benötigen. Denn ab da wirds in NY nämlich echt hart. Bei ca. km 25 gehts über die Queensboro Bridge, ein Drecksstück von einer Brücke! Ein ewig langer Anstieg lässt erstmals vermuten, dass man zu Hause vielleicht doch ein paar Waldläufe mehr hätte einlegen sollen. Die Uhr zeigt erstmals 150 Puls und Sekunde um Sekunde türmt sich gnadenlos auf die angepeilte 7er Pace. Endlich der Scheitelpunkt, jetzt gehts abwärts. Was aber nicht gezwungenermaßen schneller bedeutet. Irgendwie fühlen sich die Oberschenkel leer an. Meine Liebe Ehefrau rennt ein paar mal in meine Ellbogen und beschwert sich, dass ich gefälligst aufpassen soll. Bewusstseinstrübung als erstes Anzeichen eines nahenden Schwächeanfalls? Ich muss sie im Auge behalten.
So First Avenue, wir sind in Manhattan. Geht schon wieder bergauf! Obwohl unsere Oberschenkel leer sind, sind andere noch leerer. Wir überholen ständig, die Pace wird trotzdem nicht besser. Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass wir uns von einer Zeit unter fünf Stunden wohl verabschieden dürfen. Kurzer Stop bei einer der zahlreichen Labestation, den hundertsten Becher Gatorade runter gewürgt. Während ich einen meiner üblichen Erstickungsanfälle beim Auszuzeln eines Powergel Sackerls habe, überholt mich meine liebe Ehefrau und ich schneide mit dem Sackerl auch noch meinen Mundwinkel auf. Sie macht ziemlich große Schritte. Aber ich kenne sie und weiß, dass sie damit nur von ihrer Schwächephase ablenken will.
Wieder eine Brücke in die Bronx! Wo sind wir da, in Venedig?? Von dort der Umkehrpunkt zurück auf die Fifth Avenue, wieder Bergauf. Eh schon wurscht, es tut jetzt immer gleich weh. Zu rechter Hand sehen wir den Central Park, wenn wir von dort quer reinlaufen dürften, wären wir schon am Ziel. Dürfen wir aber nicht. Zuschauer? Ach ja, tausende, zehntausende möglicherweise. Sie schreien auch wahrscheinlich. Ich höre nur meine Oberschenkelmuskel schreien: „Bleib stehen, bitte bleib stehen!“ Wo ist eigentlich meine liebe Ehefrau? Ah da, zehn Meter vor mir! Bis zum Einlauf in den Central Park vergrößert sich der Abstand auf gut 50 Meter. Und jetzt rutscht die Designerhose nicht mehr, oder was?? Noch drei Kilometer. Ich höre eine Frau rufen: „You are looking so strong!“ Wenigstens weiß ich, dass sie nicht mich gemeint haben kann, denn ich bin nur ein Wurm, nein, eine Amöbe, die in Richtung Ziel kriecht. Plötzlich sehe ich meine liebe Ehefrau. Sie steht und wartet auf mich. Klar, für die letzten Meter benötigt sie meine Unterstützung, sie hat sich total verausgabt. Wir laufen nach 5:11:25 Hand in Hand über die Ziellinie. Das wars, aus… nie mehr wieder Marathon!
Na ok, vielleicht einmal noch, um die fünf Stunden zu knacken."