Kilimandscharo – we did it!
Der Kilimandscharo ist in mehrfacher Hinsicht ein besonderer Berg: mit 5895m Höhe ist er nicht nur Afrikas Vertreter unter den „7 summits“ als höchster Berg des Kontinents, sondern er ist sogar der höchste freistehende Berg der Welt. Vom Plateau ringsum auf ca. 800m sind es also über 5000 Höhenmeter auf den Gipfel. Bis 1964 (also bis zu meinem Geburtsjahr...) hieß der Kilimandscharo (bzw. engl. Kilimanjaro) "Kaiser Wilhelm Spitze" oder "Wilhelmskuppe". Zitat von Wikipedia: "Während der kolonialen Besetzung durch das Deutsche Reich in der Zeit von 1885 bis 1918 bildete dieses Bergmassiv das höchste Gebirge des Reiches. Der Erstbesteiger Hans Meyer taufte den Kibo als höchsten deutschen Berg in Kaiser-Wilhelm-Spitze um... Erst im Rahmen der Unabhängigkeit wurde die Regierung der Republik Tanganjika darauf aufmerksam, dass die Bergspitze des Kibo weiterhin Kaiser-Wilhelm-Spitze hieß. 1964 wurde diese in Uhuru umbenannt, was auf Suaheli Freiheit bedeutet."
Die technischen Schwierigkeiten bei der Besteigung sind dabei kaum anspruchsvoller als jene auf den Schneeberg.
Also nichts wie hin und einfach hinaufwandern? Na ja, ganz so einfach ist es auch nicht. Eine Höhe von knapp 6000m – und damit in der „Todeszone“ – ist im Regelfall nur bei entsprechender Anpassung zu schaffen. Von rund 30.000 Bergsteigern, die pro Jahr die Besteigung versuchen, scheitern rund 50%, und es wird von den Tourismusverantwortlichen gern verschwiegen, dass der Berg jährlich 10 – 15 Todesopfer fordert.
Die gesamte Reise samt Besteigung und allen Bewilligungen ist nicht billig, bewegt sich aber pro Person in der Dimension dessen, was ein starker Raucher pro Jahr für Zigaretten ausgibt. Man kann sich die Besteigung nicht „erkaufen“, das musste auch der Oligarch Roman Abramovich erfahren, der für seine 7-köpfige Gruppe insgesamt 116 Helfer beschäftigte. Trotzdem musste er nach Anzeichen einer akuten Höhenkrankheit auf ca. 4600m Höhe schnell ins Tal gebracht werden. Hervorragende körperliche Fitness kann zwar nicht schaden, diese ist aber längst keine Garantie, um mit der extremen Höhe zurechtzukommen, wie auch ein ehemaliger österreichischer Spitzenläufer am Kilimandscharo erfahren musste.
Eine Besteigung des Kilimandscharo ist individuell nicht gestattet, sondern es muss eine lokale Agentur hinzugezogen werden, die auch Träger und Guides stellt. „Träger“? Ja, die „mountain soldiers“ tragen nicht nur Teile des Gepäcks der Teilnehmer (von jedem Teilnehmer maximal 15kg, am Mount Meru ist das Limit 12kg), sondern neben dem eigenen Gepäck auch Zelte, Lebensmittel und alles, was für eine 6-Tagestour notwendig ist. Zu den Zelten für die Touristen kommt auch ein Mannschaftszelt (wo u.a. die Mahlzeiten eingenommen werden) samt Tisch, Klappsesseln und Geschirr, dazu ein Kochzelt und eben auch alle Kochutensilien wie Gaskocher samt Gasflaschen, etc. Es erschien mir ursprünglich ziemlich dekadent, dass jemand anderer für mich Teile des Gepäcks nach oben schleppt, aber für die Einheimischen ist es eine unverzichtbare Einnahmequelle. Selbst trägt man den Tagesrucksack, wo man mit 6 - 10kg (inkl. Fotoausrüstung...) auskommt.
Manuela hatte mir die Reise zum Geburtstag geschenkt, was schon eine gewisse Verpflichtung bedeutete, es auch tatsächlich zu schaffen. „Gute Freunde“ redeten ihr zu, doch selbst auch mitzugehen, das müsste sie schon schaffen – schon überredet… Na gut, ich habe die Erfahrung von u.a. 3 x Großglockner (jeweils alleine und in einer 1-Tagestour), dazu acht 4000er in den Alpen von heuer im Sommer. Bereits dort (auf ca. 4500m) waren gewisse Höhenprobleme zu spüren, meine nach einer Lungen TBC vorgeschädigte Lunge ist wohl auch kein Vorteil wie auch nicht meine seit 33 Jahren chronischen Achillessehnenprobleme. Manuela war bisher kaum über 3000m und als besonderes Schmankerl bringt sie ein neues Hüftgelenk mit, das sie erst vor ca. 10 Monaten erhalten hat. Als ob das nicht schon reichen würde, meldete sich wochenlang im Dezember eine hartnäckige Bronchitis, die 5 Tage vor Abreise beginnend mit Antibiotika bekämpft wurde. Also perfekte Voraussetzungen…
Kurz vor der Abreise wurden wir dann doch ein bisserl nervös und deshalb begannen wir in der Woche vor Weihnachten mit der zielgerichteten Vorbereitung: 3 x eine halbe Stunde auf dem Laufband im Fitnesscenter bergauf marschieren mit der Hoffnung, dass uns niemand dabei erwischt... ;-)
Entsprechend beeindruckt waren wir, als wir erfuhren, welche Erfahrungen die anderen Mitglieder unserer 10-köpfigen Gruppe mitbrachten. Darunter ein Polizei-Bergführer, aktiver Bergretter und langjähriger Cobra-Mann und auch die anderen schienen großteils in einer anderen Liga zu spielen. Die Altersbandbreite reichte vom top-sportlichen 17-Jährigen bis zum 61-jährigen Ultra-Langstreckenläufer. An Ehrgeiz fehlte es uns jedenfalls keineswegs und irgendwie wärs ja schon peinlich (kann ich leider nicht abstreiten), wenn man nachher erzählen müsste, dass man es nicht geschafft hat…
Wir buchten aufgrund von Empfehlungen und auch einer persönlichen Bekanntschaft über das Innsbrucker Reisebüro „Clearskies“, das vor Ort mit der einheimischen Agentur „Shah Tours“ zusammenarbeitet und wo der Kili-erfahrene Kärtner Bergführer Rudi Preimel sich die Teilnehmer im Vorfeld anschaute, ob das passen könnte.
Am 26.12. gings in Wien los, am folgenden Tag trafen dann im „Mountain Inn“-Hotel in Moshi/TAN alle Teilnehmer unserer Gruppe zusammen.
Nach einer feinen Nacht im Hotel gings mit dem Kleinbus Richtung Mt. Meru. Der Meru mit einer Höhe von 4566m war einerseits die geeignete Akklimatisationstour, andererseits aufgrund der landschaftlichen Vielfalt und Schönheit jedenfalls für sich schon eine Reise wert. Im Gegensatz zur Tour auf den Kilimandscharo schläft man bei der Meru-Besteigung in (einfachen) Hütten in richtigen Betten, also vergleichsweise mega-luxuriös. Sogar Fließwasser gibt es dort, also quasi ein Spaziergang von einer Wellness-Oase zur nächsten. Naja, wenn man vielleicht von den ortsüblichen Toilettenstandards absieht. Übrigens sprachen sich die Träger vehement gegen den Bau von Hütten am Kilimandscharo aus, weil damit ein großer Teil ihrer Arbeitsplätze verloren ginge. Und zusätzlich wäre wohl der Berg noch mehr überlaufen, also ist das Pfadfinder-Revival mit den Zelten schon eine gute Sache, die zum Glück nicht jedem behagt.
Jedenfalls gings vom letzten Lager auf 3500m am Nachmittag noch die paar hundert Höhenmeter hinauf auf den „Little Mount Meru“ auf 3820m, somit virtuell 22m über dem Gipfel des Großglockners. Niemand in der Gruppe zeigte Probleme, erster Gipfel geschafft, more to come.
Tja, am 3. Tag wurde es um 2 Uhr früh dann ernst. Raus aus den Federn, hinaus in die Kälte und Stirnlampen ein. Hinauf auf den Mt. Meru. Meiner Erinnerung zufolge sind Höhen von 4300/4400m für mich schon mit unangenehmen Begleiterscheinungen verbunden. Zuerst war ich noch froh über die Dunkelheit, da somit niemand unser peinlich anmutendes langsames Gehtempo erkennen konnte. Davor hatte man mich auch gewarnt, bzw. die zwei wichtigsten Regeln für eine gute Höhenverträglichkeit: viel trinken und ganz langsam gehen (pole pole!). Regel 1 hab ich gleich mal gröblichst missachtet, wobei schuld war natürlich nicht ich, sondern der zu heiße Tee in der Thermoskanne. Nachträgliche Analysen ergaben eine Flüssigkeitszufuhr von ca. 0,5 Liter über ca. 7 Stunden (rauf und runter). Die kleinen Sünden straft ja (angeblich) der liebe Gott sogleich. Das zuerst überwitzige Spielchen „Ich packe in meinen Koffer…“ mit Bergkameraden wich ziemlich rasch einer mehr oder weniger ausgeprägten Übelkeit. Aber nimmer weit zum Gipfel, das ging schon irgendwie. Ein bisserl lächeln in die Kamera und wieder runter. Und daraus lernen (hoffentlich).
Am Weg hinunter wurde den Begriffstutzigsten verdeutlicht, was der Begriff „rain forest“ bedeutet. Wir hatten aber ziemliches Wetterglück, andere Besteiger hatten schon mit drei Tagen Dauerregen zu kämpfen. Irgendwie suboptimal, wenn das Gewand nicht mehr trocknet und du in der morgendlichen Kälte patschnasse Sachen anziehen musst. Aber bei uns alles (gewohnt) pipifein.
Apropos „pipi“: am Meru drei Tage ohne Duschen, immer das gleiche Gewand, am Kilimandscharo dann sechs Tage ohne Duschen, dazu tagsüber schwitzen und nächtens frieren im Zelt – da entsteht unter Einbeziehung der spezifischen sanitären Anlagen (eine Schüssel Wasser und etwas Flüssigseife) und des jeweils zweckbestimmten Lochs im Boden eine olfaktorische Komposition, die jener aus Hochsommer-Tagen in der Wiener U6 - noch vor Einführung des Leberkässemmel- und Kebapverbots - mehr als ebenbürtig ist. Die erste Dusche des Jahres gabs somit am 6. Jänner, wodurch wir uns gleich wie die 10 heiligen 3 Könige fühlten. Aber wir wollten schließlich diesmal keine feine Kreuzfahrt, sondern ein einzigartiges Erlebnis für alle Sinne. Ziel locker erreicht. Wenn man es aber ganz dekadent haben will, kann man sich um wohlfeile $ 100.- von einem Träger eine Chemietoilette den Berg hinauftragen lassen. Das machen dann eher die Amerikaner.
Zwischen Meru und Kilimandscharo gabs eine königliche Nacht im Hotel mit Dusche, Klo, WLAN – und Pool. Essen gabs natürlich auch und das war während der ganzen Reise wirklich fein. Die Porter schleppen nicht nur Lebensmittel und Küchenutensilien den Berg hinauf, sondern sie überholten uns und rannten nach dem Zeltabbau etc. - während wir schon unterwegs sind - der Gruppe voraus (jeder durchschnittliche tansanische porter ist gewiss fitter als 99% der europäischen Marathonläufer). Wenn wir beim Etappenziel eintrafen, waren nicht nur bereits unsere Zelte aufgebaut, sondern der mitwandernde "stomach engineer" (liebevolle Bezeichnung durch seine einheimischen Kollegen) hatte bereits unter ziemlich schwierigen Bedingungen (ein kleines Kochzelt mit einem Gaskocher) ein Essen und warme Getränke für uns gezaubert, die uns jedesmal staunen ließen. Das alleine macht einen Riesenunterschied aus zu einer individuellen Trekking-Tour (die dort gar nicht erlaubt ist), wo jeder sein eigenes Zelt und Essen mitschleppen muss.
Nach dieser Hotelnacht wurde es dann also richtig ernst. Wieder mit dem Matatu zum Ausgangspunkt der Kili-Tour auf 1800m Höhe. Am Weg dorthin hat uns zwar einmal die allgegenwärtige örtliche Polizei wegen unsachgemäßer Verstauung des Ladeguts am Dach (?) aufgehalten, aber der Hinweis unseres Fahrers, dass sich im Bus gleich mehrere österreichische Polizisten befänden, hat kollegiale Gnade walten lassen…
Die Tour auf den Kilimandscharo – wir gingen auf der Machame-Route („Whiskey-Route“ im Gegensatz zur häufiger begangenen „Coca-Cola-Route“) – ist irgendwie ein schüchternes, mehrtägiges Anpirschen an den mächtigen Vulkangipfel, das vordergründig wie ein dreimaliges Rundherum um den Berg mit vielen Auf und Abs wirkt, hintergründig aber durch die damit einhergehende Akklimatisation einfach die Gipfelchance erhöht. Aber wie sagt schon ein gescheites Sprichwort: "Wer zum Gipfel will, muss auch so manche Täler durchschreiten"...
Die Vielfalt der Landschaft ist immer wieder beeindruckend, vom üppigen Regenwald bis zur mondähnlichen Wüste ist alles dabei. Ach ja, gefährliche Tiere gibt’s am Kili eher weniger, am Meru muss aber bis 3500m ein bewaffneter Ranger mit den Gruppen mitmarschieren, weil immer wieder wildgewordene Büffel die harmlos wirkenden Touristen als Bedrohung ansehen und manchmal auch Leoparden ihren Hunger mit fetten Europäern und Amerikanern zu stillen gedenken. Allerdings waren in den letzten Jahren Todesfälle durch am Plumpsklo abstürzende Touristen häufiger als zu Delikatessen verkommende Touristen (kein Witz).
Der vorletzte Tag vor dem Gipfeltag mit Ausgangs- und Endpunkt auf ca. 3900m war sicherlich ein highlight. Das Barranco-Valley mit der Barranco-Wall, wo man ein paarmal zwecks leichter Kletterei die Hände aus der Hosentasche nehmen könnte, ist angesichts der beinahe surreal wirkenden Vegetation sicherlich mehr als lediglich der Weg zum eigentlichen Ziel. Den ganzen Tag geht es ständig bergauf und bergab, aber jeder Meter ist es wert.
Mein (erstes) Ziel war, halbwegs im Schongang und ausgeruht zum letzten Zeltlager auf 4673m zu kommen, wo nach Vorinformationen ohnehin nicht mehr viel Schlaf möglich ist. Na gut, mit etwa drei Stunden Schlaf während der letzten beiden Nächte in Summe wurde dieses Ziel knapp verfehlt… Das letzte Lager vor dem Gipfelsturm liegt also auf einer Höhe, die fast dem Mont Blanc-Gipfel entspricht, entsprechend dünn ist die Luft. Wer übrigens bis jetzt geglaubt hat, dass es in Afrika ja sowieso immer warm ist, willkommen auf 4000 oder 5000m!
Bis zu diesem letzten Lager krochen wir frühmorgens praktisch immer bei wolkenlosem Himmel aus unseren Zelten, die mitunter von einer Eisschicht überzogen waren. Die letzte Nacht war aber ganz anders. Schon am Abend begann sich der Kili offensichtlich mit einem Sturm gegen uns zu wehren, in der (kurzen) Nacht hämmerten Windböen mit 50-60 km/h auf unser Zelt, schlafen also Fehlanzeige. Das viele pflichtbewusste Trinken über den Tag bescherte zudem eher unruhige Nächte, weil das Zelt dann zu gewissen Zwecken verlassen werden musste. Jeder Warmschläfer möge sich in die Situation versetzen, wenn man bei Minusgraden mitten in der Nacht aus dem Schlafsack kraxelt, sich mit der Stirnlampe den Weg aus dem vergleichsweise kuscheligen Zelt bahnt und dann eine Stunde vor dem geplanten Aufbruch auf den Kili merkt, dass es nicht nur stürmt, sondern auch schüttet oder eher schneit. Kein romantisches Winterwonderland, sondern ein richtiger Schneesturm.
Wie auch immer. Wenn schon heftig, dann richtig. Also um 2 Uhr Früh Aufbruch Richtung Kilimandscharo-Gipfel. Bergführer Rudi meinte, unsere Gruppe sei so stark, dass wir nicht wie die anderen um Mitternacht losmarschieren bräuchten, weil wir sonst nur gelangweilt am Gipfel den Sonnenaufgang abwarten müssten… Für diese schauspielerische Leistung würde uns zumindest der Ehren-Oscar gebühren – dachten wir. Porter waren jetzt keine mehr dabei, die durften in unseren Zelten weiterschlafen und nicht wie sonst im Massenlager, weil wir ja am Gipfel kein Zeltlager aufschlagen wollten. Dafür waren wir zu zehnt mit sechs einheimischen Guides unterwegs, zwei davon ohne Stirnlampe im Stockdunkel der Nacht.
Die Guides und Träger leisten Unglaubliches und degradieren unsere (fast) heroische Besteigung eigentlich zu einem Kindergartenausflug. Nach einigen Jahren Porter-Erfahrung kann man die Ausbildung zum Guide machen. Man verdient etwas mehr und braucht nicht mehr die Sachen anderer zu schleppen. Mit einer 6-Tagestour können die Porter inklusive Trinkgeld (der Anteil ist ungefähr die Hälfte) ca. 60 Dollar verdienen, das ist fast so viel wie das monatliche Durchschnittseinkommen in Tansania. Englisch sprechen die Guides auch und die Erfahrung am Berg war nicht nur gespielt. Ein freundliches „Jambo, Jambo“ begleitete jede Begegnung mit Portern oder Guides.
Also stapfte unsere insgesamt 16-köpfige Gruppe im nächtlichen Schneesturm dem Gipfel des Glücks (?) entgegen. Der heftige Wind sorgte zumindest für ein Gesichtspeeling, um es mal vorsichtig positiv auszudrücken und als Nebeneffekt übertönte er unser angestrengtes Schnaufen. Die Felsen waren zum Teil stark vereist, nur ja nicht stürzen. So ging es in der Finsternis Meter um Meter nach oben, Blick immer auf die Füße des Vordermannes (bzw. Voderfrau). Ruhiges Stapfen, bewusstes Atmen und nicht aufs Trinken vergessen - als ob das nicht zusätzlich megaanstrengend wäre. Meine ausgetüftelte Strategie war: schauen wir mal bis 5000m, wenn das halbwegs geht, dann bis 5300m. Und dann gibt’s kein Aufgeben mehr, die verbleibenden 600 Höhenmeter geht man sonst ja im Prinzip in einer Stunde – allerdings nicht in dieser Höhe. Also mit dieser genialen Strategie im Prinzip ganz einfach, oder?
Mein persönliches Hauptproblem waren nach kurzer Zeit die eingefrorenen Finger. Die nie getesteten Handschuhe im Sonderangebot waren also nicht so der Bringer. Wärmepads hatte mir Manuela irgendwo eingesteckt, fand sie aber auf die Schnelle nicht. Und schnell geht da oben gar nichts. 5000m irgendwie erreicht, noch immer stockdunkel. Ganz weit oben sah ich ein paar Sterne, klarte etwa der Himmel auf? Fehlanzeige, die „Sterne“ bewegten sich, also waren es doch die Stirnlampen von einer Gruppe, die weit voraus stapfte. Na bumm, da hinauf sollen wir?
In der zunehmenden Sauerstoffnot oszillierten die Gedanken im inneren Dialog zwischen zwei Extremen. Zwischen „unbedingt hinauf, deshalb bin ich doch da“ und „wäre ich doch irgendwo jetzt im warmen Bett, das ist doch vollkommen sinnlos hier“. Ich gestehe, dass mich der Gedanke an jene peinlichen Typen besonders motivierte, die wegen eines vergessenen Pullovers beim Joggen mitten in Wien und eines beim 387. Selfie verknacksten Knies eine mehrseitige, hochdramatische Zeitungsgeschichte zwecks Bewunderung durch die üblichen Verdächtigen aus dem Kreis der drei follower entwickeln. Die hätte ich jetzt gern hier erlebt…
Mein Umfeld hatte mich in Kenntnis meiner eigenwilligen Persönlichkeitseigenschaften eindringlich angefleht, ja vorsichtig zu sein und bei entsprechenden Anzeichen von Problemen in der Höhe den Mut zum Umkehren aufzubringen. Die schwerwiegendsten Anzeichen von akuten Höhenproblemen wären das Entstehen eines Lungenödems (begleitet von schaumartigen Blut-Spucken) und eines Hirnödems. Für das in Extremfällen tödliche Hirnödem gibts für den Betroffenen wenig Vorzeichen, extreme Kopfschmerzen können – müssen aber nicht – ein Vorbote sein. Wankender Gang, Koordinationsstörungen und die Unfähigkeit klare Gedanken zu fassen, merken eher die anderen (angeblich ist es ähnlich wie ein Vollrausch). Davon merkte ich aber nichts und zwecks Test der klaren Gedanken probierte ich es mit Kopfrechnen. Das funktionierte offenbar nicht schlechter (aber auch nicht besser) als sonst. Also wegen ein paar kalter Finger dreh ich sicher nicht um.
Der Sturm wurde zwar nicht weniger, die peeling-Session war aber zu Ende und das da ganz oben waren jetzt ganz sicher Sterne. Nicht nur das, am Horizont hinter mir kündigte ein vorerst sehr schmaler orangefarbener Streifen den nahenden Sonnenaufgang an. Das motivierte tatsächlich und auch, dass es Manuela, die direkt vor mir ging, offensichtlich ganz gut ging. Sie, die einzige Frau in der Gruppe, hatte schon am Meru überhaupt keine klassischen Höhenprobleme, eigentlich vollkommen unfair. Und ein bisserl schnaufen wegen der Anstrengung hat noch niemandem geschadet. Spätestens jetzt war für mich klar, wir werden beide da hinaufkommen. Auch die anderen in der Gruppe waren gut unterwegs, außer gröberen Kopfschmerzen alles im Plan. Dieses Erlebnis im Team motivierte zusätzlich.
So, nächstes Problem: ich wollte ja ein paar gscheite Fotos machen und hab extra die schwere Kamera mitgeschleppt, allerdings hatte ich am Gipfeltag die Wechselobjektive zurückgelassen, weil der Sandsturm da oben sowieso den Tod für den Sensor bedeutet hätte. Ein voll geladener Akku war in der Kamera. Beim ersten Foto-Versuch allerdings ein kurzes Blinksignal „Battery low“ und aus. Das war wohl der Hinweis, dass es wirklich kalt war, denn das mögen Akkus gar nicht. Challenge accepted. Die steifgefrorenen Finger raus aus den Handschuhen, den Akku aus der Kamera herausgefummelt und in die Hosentasche gesteckt, dazu das gleiche Spiel mit einem Reserveakku. Handschuhe wieder an und weiter. So schnell schnellte die Sonne ohnehin nicht empor. Eher darauf achten, ja keine zu raschen Schritte zu machen um zur Gruppe wieder aufzuschließen. Ein paar flotte Schritte sind ja kein Problem, aber dann plötzlich schießt die Atemnot ein wie im Ziel eines 400m-Rennens, wo dir jemand hinterfotzigerweise den Mund zuhält. Muss ich nicht oft erleben, also gemach, gemach….
Zehn Minuten später wieder Stopp, Handschuhe aus, Akku aus der Hosentasche raus und in die Kamera hinein. Das Wunder in meiner Hosentasche führte zur Akkuanzeige: 78%. Das ist übrigens einiges mehr als die Sauerstoffsättigung in diesem Moment, die unsere Guides schon an den Tagen zuvor zweimal täglich gemessen hatten. Aber das ist eine andere Geschichte.
So entstanden die ersten Fotos an diesem Tag. Das noch schwache Licht und das Panorama waren eigentlich unglaublich. Spätestens jetzt hatte sich die Reise gelohnt. Ich bedankte mich innerlich, dass ich das erleben durfte und ließ die Gruppe wissen, ich komm eh gleich. Ein Guide wartete bei mir und passte gut auf, ob ich jetzt wohl fliegen oder sonst was möchte. Immer wieder kamen uns Bergsteiger mehr oder weniger wankend und/oder gestützt entgegen. Sie hatten es nicht geschafft und mussten möglich rasch wieder hinunter. Das war Warnung genug vor zu viel Übermut. Wir überholten auch andere Gruppen, die ein bis zwei Stunden vor uns gestartet waren als es noch geschüttet hatte. Kondition lohnte sich also auch hier und jetzt. Die Letzten werden die Ersten sein. Ätsch.
Aufpassen und "Hineinhorchen" ist jedenfalls angesagt. In Notfällen ist hier oben der alpine Notruf keine Hilfe und auch eine Hubschrauberbergung ist in dieser Höhe unmöglich. In jeder Gruppe muss ein Guide unauffällig eine Sauerstoffflasche für Notfälle mitschleppen, so weit sollte es aber nicht kommen. Eine - eh klar - amerikanische Gruppe zeigte besondere Verhaltensauffälligkeiten: die schleppten u.a. eine junge Frau, die die Augen irgendwie verdrehte und offensichtlich gar nichts mehr mitbekam und nur kotzte, rechts und links am Oberarm hinauf, lehnten sie später für ein Foto ans Gipfelbrett und schleppten sie dann wieder runter. So kann man auch den Kili gegen Geld besteigen. Jeder, wie er will...
Da sah ich ca. 100 Höhenmeter ober mir die Geländekante (eigentlich den Kraterrand), wo sich der „Stella Point“ (auf 5739m) befindet. Irgendwie soll ja das schon sowas wie der Gipfel sein, weil der Rest der ca. 150 Höhenmeter ziemlich flach zum „Uhuru Point“ auf 5895m weitergeht. Das sagte Rudi und der war ja schon ein paarmal da oben. Wir glaubten ihm natürlich. Die 100m Höhenmeter mit den vielen Serpentinen zogen sich sehr, sehr lange, aber egal. Jetzt war für mich klar, wir schaffen das!
Am Stella Point wieder eine Fotopause. Normalerweise würde ich bei dieser Aussicht wohl eine Stunde zubringen, aber das wäre jetzt nicht klug gewesen. Unsere Gruppe war vollzählig, aber den Rest des Weges ging/wankte jeder sein eigenes Tempo. Die Luft war jetzt wirklich dünn und der Höhenmesser meiner Uhr veränderte die Anzeige nur sehr, sehr langsam. Die Aussicht auf die Gletscherreste und die anderen Gipfel, insbesondere den Mawenzi (5148m) als zweithöchsten Gipfel des Kilimandscharo-Massivs, war einfach überwältigend. Fotografieren war zwar mühsam wie noch nie, aber da musste ich einfach immer wieder stehenbleiben und dann der Gruppe nach"rennen".
Die Guides hatten uns vorher eingebläut: „Wenn ihr auf den Gipfel kommt, macht schnell ein Foto, versucht dann aber möglichst rasch wieder auf niedrigere Höhen zu kommen.“ Sie hätten da oben schon richtige Dramen erlebt.
Und dann kam irgendwann die bekannte Holztafel am Uhuru Peak, dem höchsten Punkt Afrikas, ins Blickfeld. Es waren vielleicht noch 200m, die ich jetzt gemeinsam mit Manuela leicht bergauf stapfte. Ein Wettschnauf-Duell wäre spannend ausgegangen. Ich hatte das Gefühl, wenn dieser verdammte (sorry!) Gipfel nur 50m höher gewesen wäre, ich hätte es nicht geschafft.
Die letzten Schritte werden mir immer im Gedächtnis bleiben. Es war irgendwie wie (ziemlich) frei nach Neil Armstrong: "One small step for mankind, but a giant leap for each of us". Die Atmosphäre, das Traumwetter (abgesehen von Sturm und beißender Kälte), das Panorama, das Glück, das wir jetzt mit allen anderen unserer Gruppe teilen durften, das kann man einfach nicht in Worten wiedergeben. Wir fielen uns gegenseitig um den Hals und es war uns gar nicht peinlich. „Was man sich hart erkämpft hat, darüber freut man sich am meisten“ – das sage ich sonst meinen Sportlern, jetzt nehme ich es aber für uns selbst in Anspruch.
Die Guides hatten uns danach gesagt, dass es trotz der relativ guten Akklimatisation mit der Meru-Besteigung im Vorfeld und auf dieser Route nur 75% auf den Gipfel schaffen. Von unserer Zehner-Gruppe (inkl. Bergführer Rudi) schafften es aber alle, was natürlich für die Gruppe spricht, aber auch v.a. für die umsichtige Führung durch Rudi und die Organisation durch Clearskies/Shah Tours. In den ersten Tagen der Tour war ich mehrfach knapp dran, über das scheinbar lächerlich langsame Tempo der Gruppe zu meckern, jetzt wusste ich aber, dass das alles einen Sinn hatte. Bin eh schon ruhig.
Wir blieben wirklich nicht lange am Gipfel, da waren sowieso zu viele Leute. Jetzt nichts mehr riskieren und schnell hinunter. Beim Abstieg war mir dann abschnittsweise wieder ziemlich übel, aber darüber konnte ich jetzt innerlich nur lachen, weil es mir egal war. Der Weg hinunter zum Lager, wo bereits ein Imbiss wartete (es war 10 Uhr Vormittag) schien länger als der Weg hinauf, aber das war alles kein Problem mehr. Noch am gleichen Nachmittag ging es hinunter zum nächsten Lager auf ca. 3000m und am Tag darauf ins Tal.
Wieder im Hotel in Moshi angekommen, fühlten wir uns schon wie kleine Helden und ein Kilimandscharo-Bier (bei manchen angeblich auch etwas mehr) war vorerst wichtiger als duschen und umziehen. Ja, für uns ging ein Traum in Erfüllung, danke an alle, die uns dabei unterstützt haben!
Am nächsten Tag und nach dem verdienten Schlaf in einem richtigen Bett teilte sich unsere Gruppe. Ein paar hängten drei Tage Safari an, ein paar mussten direkt nach Hause, für uns ging es drei Tage an den Strand von Sansibar. Das Gesamtpaket war damit perfekt.
Danke an unseren Bergführer Rudi, dazu Andi, Andreas, Florian, Hansi, Jonas, Karl, Manuela, Mundi und an alle Guides, mountain soldiers und die Köche!
Hakuna Matata – alles in bester Ordnung. Wie die Tansanier zu sagen pflegen.
Nachstehend 235 Fotos, die vielleicht einen guten Eindruck der Reise vermitteln (vergrößern durch Anklicken, wie auch in diesem Beitrag). Wen es interessiert: für die Fotos hab ich eine Canon 5D Mk IV mitgeschleppt (meist in der Gürtelhalterung), dazu standardmäßig (für die meisten Fotos) ein 16-35mm Objektiv, ein altes, leichtes 70-200er Tele (4.0, ohne IS) und zur Vervollständigung ein 8-15mm Fisheye. Am Gipfeltag blieben eben die Wechselobjektive im Zelt. Im Sommer machte die kleine Fuji XT-1 auf über 4000m Probleme, danach musste das Motherboard getauscht werden. Aber auch aufgrund der ganz anderen Lichtstärke und des geringeren Bildrauschens (manche Fotos mit 10.000 ISO) der 5D IV hab ich mich diesmal für die größere Lösung entschieden, so oft werde ich da wohl ja nicht mehr hinkommen.
Die Fotos gibt's auch als YouTube-Video (ca. 17 Minuten) zum Herzeigen, dazu als Soundtrack
unsere Träger/Guides mit dem "Kilimanjaro Song":
VIDEO
Und auch den "Kilimanjaro-Song" extra als VIDEO